E-Government
Vom:
11.7.2025

Ein Vierteljahrhundert Digitalpolitik - wo bleibt das digitale Deutschland?

Autor:in
Dr. Christian Knebel
25 Jahre Verwaltungsdigitalisierung – was wurde erreicht, was fehlt, und was kommt jetzt? Ein Überblick mit klarer Richtung: mehr Tempo, mehr Open Source, mehr Souveränität.

Seit rund 25 Jahren arbeitet der deutsche Staat systematisch daran, seine Verwaltung zu digitalisieren. Die Ergebnisse eines Vierteljahrhunderts Verwaltungsdigitalisierung mögen manchem ernüchternd erscheinen. Deutschland landet im Digitalvergleich mit den europäischen Nachbarn regelmäßig im letzten Drittel. Wichtige Verwaltungsdienste sind nur in bestimmten Bundesländern oder Landkreisen verfügbar – in anderen nicht. Vorhandene Dienste werden teils spärlich von Unternehmen und Bürger:innen genutzt – aus Unkenntnis, Skepsis oder wegen fehlender Nutzendenfreundlichkeit. Und wer einen tieferen Einblick in die Technik hat, der weiß: Das, woran wir gerade mit Hochdruck tüfteln, gibt es in Estland teils schon seit 2001.

Die andere Seite der Medaille: In den vergangenen 25 Jahren wurden viele Grundlagen gelegt. Mittlerweile fast von jede:m benutzte Dienste wie die elektronische Steuererklärung per Elster gibt es schon seit dem Jahr 2000. Technische Standards, Schnittstellen, rechtliche Rahmenwerke und nicht zuletzt Strukturen der föderalen Zusammenarbeit wurden erdacht, erprobt und verbessert. Auch aktuell ist vieles in Bewegung – jetzt kann die Verwaltungsdigitalisierung echten Schwung aufnehmen. Also heißt es jetzt: Gemeinsam vorankommen, die Gunst der Stunde nutzen, gute, vernetzte Services an den Start bringen, die Akzeptanz digitaler Leistungen steigern und die digitale Souveränität sicherstellen.

Wir von publicplan sind bereits seit 15 Jahren mit dabei auf der Reise in ein digitales Deutschland. Seit unserer Gründung spezialisieren wir uns auf Open-Source-Projekte für die öffentliche Verwaltung. Gerade in den vergangenen Jahren stellen wir fest: Das Bewusstsein dafür wächst, dass digitale Souveränität eines der zentralen Themen in der Verwaltungsdigitalisierung ist und dass Open-Source-Software der Schlüssel ist, um echte Souveränität zu erreichen. Einen Überblick, was im digitalen Deutschland bisher geschah und wo die Reise hingehen kann, gibt dieser Artikel.

Von BundOnline bis NOOTS-Staatsvertrag – ein Überblick

Betrachten wir zunächst – im Schnelldurchlauf – welche politischen Entwicklungen die digitale Verwaltung in Deutschland geprägt haben:

Mit BundOnline 2005 startete im Jahr 2000 das erste große E-Government-Programm. Das Ziel: 400 Verwaltungsleistungen des Bundes online bereitstellen. Es entstanden erste Standards und Basisdienste wie bund.de oder der Government Site Builder, der noch heute in einer auf Open-Source-Basis weiterentwickelten Version (Typo3) im Einsatz ist. Gleichzeitig gab es mit der Einführung der Perso/ID seitdem auch wichtige Grundlagen für digitale Identitäten, ebenso stammt das iKFZ als Basis aus dieser Zeit. Doch viele Dienste scheiterten an unzureichenden Rechtsrahmen oder mangelnder Nutzbarkeit.

2005 folgte die erste gemeinsame E-Government-Strategie „Deutschland Online" von Bund und Ländern. 2010 wurde mit dem IT-Staatsvertrag der IT-Planungsrat als zentrales Koordinierungsgremium geschaffen. Das E-Government-Gesetz von 2013 legte dann weitere wichtige rechtliche Grundlagen fest, wie beispielsweise die Verpflichtung zur Öffnung elektronischer Kontaktkanäle zu Behörden.

Das Onlinezugangsgesetz von 2017 verpflichtete die Verwaltung bis Ende 2022 575 Leistungen des Bundes, der Länder und der Kommunen online zugänglich zu machen. Ein Ziel, das bis heute nicht erreicht ist. Immerhin waren zuletzt – je nach Wohnort zwischen 204 (Brandenburg) und 293 (Hamburg) Leistungen digital verfügbar.¹ Nach längeren Verhandlungen trat 2024 das Onlinezugangsänderungsgesetz („OZG 2.0") in Kraft. Es schuf neue rechtliche Rahmenbedingungen und setzte neue Zielmarken, unter anderem die vollständige Digitalisierung von Bundesleistungen für Unternehmen bis 2029.

Parallel wurde intensiv am „once-only"-Prinzip gearbeitet, damit bereits vorhandene Daten zwischen Behörden ausgetauscht werden können und nicht ständig neu eingegeben werden müssen. Wichtige Meilensteine dieses Prozesses sind das Registermodernisierungsgesetz (2021), der Staatsvertrag zur Registermodernisierung (2024) und der NOOTS-Staatsvertrag, der das bundesweite Datenaustauschsystem NOOTS („National-Only-Once-Technical-System") regelt. Diesem müssen aktuell Bundestag und Länder noch zustimmen. Eine (positive) Zäsur stellt die Gründung des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung im Frühjahr 2025 dar, das erstmals die zuvor auf verschiedene Ressorts verteilten Zuständigkeiten bündelt.

¹ Anzahl der verfügbaren OZG-Leistungen laut „Dashboard Digitale Verwaltung“ vor der Umstellung der Zählweise am 30.6.2025. Mittlerweile sind im Dashboard sogenannte LeiKa-Leistungen dokumentiert, von denen meist mehrere in einem OZG-Dienst umgesetzt werden – hier finden sich nun also höhere, nicht mehr mit den vorherigen vergleichbare Zahlen.

Bewegte Geschichte – fortbestehende Herausforderungen

Die vergangenen 25 Jahre der Verwaltungsdigitalisierung sind also zum einen geprägt von unterschiedlichen, immer wieder nachjustierten, geänderten und teils nicht erreichten Zielmarken. Erkennbar ist jedoch auch, dass die mühsame Aushandlung und Erarbeitung technischer und rechtlicher Grundlagen Früchte tragen: In den vergangenen Jahren steigt die Zahl der verfügbaren Dienste kontinuierlich und vor allem beim „Backend“ der Verwaltung werden große Fortschritte gemacht.

Dabei zeigt sich, dass in den verschiedenen Digitalisierungsprojekten ähnliche Herausforderungen über die Zeit hinweg fortbestehen:

- Der Föderalismus bedingt eine komplexe Aufteilung von Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die verteilten Zuständigkeiten erfordern mehr Dialog und Abstimmung zwischen den Beteiligten. Teils wird dies als Grund für Deutschlands schlechtes Abschneiden im EU-Vergleich herangezogen. In der Tat sind einige Digital-Vorreiter wie Estland zentralistisch organisiert. Jedoch ist beispielsweise auch das förderale Österreich in seiner Verwaltungsdigitalisierung an vielen Stellen weiter.

- Komplexe, gewachsene Regelwerke der deutschen Bürokratie tun ihr Übriges – selten sind früher Gesetze, Normen und Prozesse digitaltauglich erdacht worden. Das zieht heute einen höheren Umsetzungsaufwand nach sich, um nicht nur analoge Prozesse digital abzubilden, sondern diese auch zu verschlanken und zu entkomplizieren.

- Auch wenn Services digital zur Verfügung stehen, fehlt es teils an Nutzung und Akzeptanz in der breiten Bevölkerung. So gaben 2024 noch 52% der Deutschen an, aus Gewohnheit physisch aufs Amt gehen zu wollen. Nur 22% nutzten ihren digitalen Ausweis und nur 56% hatten überhaupt jemals E-Government-Dienste genutzt. Diese Nutzungslücke liegt – neben anderen Faktoren – auch am fehlenden Vertrauen in den Staat und seine digitale Leistungsfähigkeit. So gaben nur 16% an, der Staat mache ihr Leben leichter, 19% trauten ihm eine ähnliche Effizienz wie Wirtschaftsunternehmen zu. Dass die Deutschen traditionell großen Wert auf Datenschutz legen und Skepsis bezüglich der Datensicherheit bei vielen besteht, trägt weiter zu einer geringeren Akzeptanz digitaler Angebote bei.

- Eine weitere Herausforderung zeigt sich in der schon angesprochenen Vielzahl der aufgesetzten Programme und Initiativen und den immer wieder neu gesetzten (und teils weit verfehlten) Ziel: Der politische Drive hinter der Digitalisierung der Verwaltung schwankt. Über die letzten 25 Jahre wurde die Verwaltungsdigitalisierung zwar durchgängig verfolgt, aber mit sich ändernden Schwerpunktsetzungen und variierender Priorität (und damit einhergehend: Finanzmitteln).

Der Blick nach vorne: Gute Aussichten für das digitale Deutschland?

Wie kann es nun also weitergehen? Für die Zukunft gibt es tatsächlich mehrere positive Signale. Mit der Gründung des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung hat das Thema Verwaltungsdigitalisierung eine politische und praktische Aufwertung bekommen. Kompetenzen und Ressourcen werden zusammengezogen und es kommt mehr Schub in die Entwicklung. Mit dem 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen werden auch die finanziellen Möglichkeiten größer, denn es darf wohl auch für Investitionen in die Digital- und Verwaltungsinfrastruktur verwendet werden.

Auch im konkreten doing und in der Entwicklung der rechtlichen Rahmenwerke ist festzustellen: Die Kadenz der Verabschiedung wichtiger Rechtsakte wie dem Registermodernisierungsgesetz, dem OZG 2.0 und den Registermodernisierungs- und NOOTS-Staatsverträgen steigt. Gleichzeitig wächst der Impact: Die mit viel Aufwand ausgehandelten Leitplanken sind gesetzt – für eine digitale Verwaltung der Zukunft, bei der Daten dort vorliegen, wo sie gebraucht werden, die ihre Effizienz steigern kann und die ihre Dienste perspektivisch proaktiv den Bürger:innen und Unternehmen in Deutschland anbieten kann. Nun kann der Bau der eigentlichen Autobahn folgen. Kein kleines Projekt, doch mit den vorhandenen Grundlagen und den oben dargestellten verbesserten politischen Rahmenbedingungen kann es nun enorme Fahrt aufnehmen.

Interessant ist dabei zu beobachten: Wichtige Schübe hat die Verwaltungsdigitalisierung immer wieder durch externe Einflüsse genommen. So hat die Corona-Pandemie als regelrechter Booster fungiert – vieles musste nun digital laufen und wurde pragmatisch umgesetzt. Die Sorge vor chinesischem Einfluss in der Technologie hat nicht nur den Aufbau der 5G- und Internetinfrastruktur beeinflusst, er hat das Thema digitale Souveränität auch spürbar stärker auf die Agenda gesetzt. Mit der erneuten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und dem in der Folge unberechenbaren Handeln vieler US-Behörden sowie dem engen Kontakt, den die großen US-Tech-Player zum Präsidenten suchen, pressiert das Thema aktuell umso mehr. Die Bedrohungslage einer digitalen Abhängigkeit von außereuropäischen Großunternehmen kann nicht mehr als abstraktes, theoretisches Szenario vom Tisch gewischt werden. Es ist mit Aktionen wie der Sperrung des Microsoft-Mailaccounts des „unbequemen“ Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof real geworden. Auch die Bundesregierung hat das erkannt und sich in klaren Worten in den Koalitionsvertrag bekannt: „Digitalpolitik ist Machtpolitik. Wir wollen ein digital souveränes Deutschland.“

Der Weg nach vorne: Souverän, transparent, offen

Die Gesamtschau zeigt: Wir stehen aktuell an einem Punkt, an dem sich vieles bewegt, an dem Gas gegeben werden muss. Auch die Richtung zeichnet sich ab: Deutschland braucht eine digital souveräne Verwaltung, die auf offenen Technologien aufsetzt, leistungsfähig ist und Transparenz schafft. Kurz: Es braucht mehr Open Source im „Deutschland-OS“.

Denn quelloffene Software kann genau das leisten, was jetzt wichtig ist. Sie ist transparent und nachvollziehbar. Jede:r kann nachprüfen, was mit Daten passiert und ob sie sorgfältig und sicher verarbeitet werden. So wird Vertrauen geschaffen, das in einer breiteren Akzeptanz von E-Government-Diensten mündet. Open-Source Software ist state-of-the-art und leistungsfähig. Projekte, an denen Entwickler:innen weltweit arbeiten profitieren von schnellen Updates, von Vorsprüngen an Sicherheit und kurzzyklischer Innovation. Open-Source-Software ist anpassbar auf die speziellen Bedingungen, die das Gesetzes- und Behördengeflecht stellt. Und es lassen sich offene, interoperable Schnittstellen implementieren, damit Daten dahin fließen können, wo sie das Leben für Menschen in Behörden, Privathaushalten und Unternehmen einfacher machen.

Gerade für den Mittelstand – das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – bietet Open Source enorme Chancen. Offene Technologien ermöglichen es kleinen und mittleren Unternehmen, sich unabhängig von einzelnen Herstellern aufzustellen, Kosten langfristig zu senken und innovative Dienstleistungen schneller in den Markt zu bringen. Zugleich können sie sich aktiv in die Weiterentwicklung einbringen und passgenaue Lösungen für ihre Bedarfe schaffen. Eine digital souveräne Verwaltung auf Open-Source-Basis stärkt damit nicht nur sich selbst, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Mittelstands.

Am wichtigsten ist aktuell jedoch: Nur mit Open Source gelingt echte digitale Souveränität – nur wenn Software allen gehört und von unterschiedlichsten Anbietern gleichermaßen angepasst und betrieben werden kann, verhindert man, dass die Verwaltungs-IT aufgrund politischer Querelen von außen ausgeknipst werden kann.

Bei publicplan blicken wir deswegen nicht nur zurück auf 15 spannende Jahre, in denen wir bereits auf allen Ebenen von EU, über Bund und Länder bis in die Kommunen tatkräftig an der Digitalisierung der Verwaltung mitwirken. Wir blicken mit großer Zuversicht auf die kommenden Herausforderungen und freuen uns, unsere gebündelte Expertise einbringen zu können. Wir arbeiten im Maschinenraum der Registermodernisierung, beteiligen uns am Aufbau des NOOTS und unterstützen beim Roll-Out von durch uns entwickelter Software in weiteren Bundesländern über das EfA-Prinzip.

Also: Geben wir gemeinsam Gas für die Zukunft der Verwaltungsdigitalisierung! Für einen bürgerfreundlichen, leistungsfähigen Staat, für mehr Vertrauen und Akzeptanz bei Bürger:innen und Unternehmen, für eine digital souveräne Verwaltung.

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